Kunstwerke sind visuelle Zeitzeugen und erlauben daher einen Blick in die Vergangenheit – auch in die unserer Kulturpflanzen. Komm mit in unsere virtuelle Kunstausstellung und entdecke nicht nur alte, sondern uralte Obst- und Gemüsesorten!
Als die Menschen vor über 10.000 Jahren sesshaft wurden, begannen sie Kulturpflanzen anzubauen und gezielt zu züchten. Es sind vor allem archäologische Funde wie Samenkörner und später auch schriftliche Überlieferungen, die uns einen Einblick in die Speisepläne früher Hochkulturen geben. Abbildungen von Gemüse- und Obstpflanzen sind in der Regel nicht naturgetreu und dienen daher vor allem als ergänzende Quellen.
Eine der frühesten Abbildungen von Obst und Gemüse findet sich im Grabmal des ägyptischen Beamten Nacht, das auf ca. 1400 v. Chr. datiert. Zu sehen sind unter anderem Gurken oder längliche Melonen – beide gehören zur Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceae). Moderne Genanalysen bestätigen, dass Wassermelonen schon vor über 4000 Jahren im alten Ägypten kultiviert wurden. Die ursprünglich bitter schmeckenden Früchte wurden bereits von den Ägyptern auf süßen Geschmack hin gezüchtet und hatten im Gegensatz zu den heute verbreiteten Exemplaren ein weißliches Fruchtfleisch.
Auch aus der Römerzeit sind zahlreiche Obst- und Gemüsedarstellungen erhalten. So etwa auf einer Freskenmalerei einer römischen Taverne, das wahrscheinlich eine Möhre oder einen Rettich zeigt. Die vereinfachte Darstellung lässt hier keine eindeutigen Schlüsse zu. Beide Gemüsearten waren der römischen Küche bekannt; schriftliche Quellen überliefern uns eine reichhaltige Gemüseauswahl von Artischocken bis Spargeln.
Wann wurde die Möhre orange – oder war sie es schon immer? Genau nachweisen lässt sich das nicht mehr, allerdings ist davon auszugehen, dass dies bereits im 1. Jahrhundert der Fall war. Aus dieser Zeit stammen nämlich die botanischen Aufzeichnungen des Arztes Dioskurides, die uns heute im "Wiener Dioskurides" vorliegen, einer Abschrift aus dem 6. Jahrhundert.
Aus dem Mittelalter sind uns vor allem botanische Kodizes und Handbücher mit Heilpflanzen überliefert, die aus verschiedenen Quellen zusammengetragen wurden. Das "Tacuinum sanitatis" aus dem 14. Jahrhundert bezieht sich zu großen Teilen auf das Werk des arabischen Arztes Ibn Butlan aus dem 11. Jahrhundert und bezeugt den regen Wissenstransfer zwischen den Kulturkreisen.
Mittelalterliche Kunst lässt sich nicht ohne Weiteres für botanische Betrachtungen heranziehen. Das liegt auch an den oft religiösen Beweggründen der Maler bzw. Auftraggeber: Dargestellte Gegenstände sind in vielen Fällen als Anspielungen oder Allegorien zu verstehen, ihr symbolischer Gehalt stand daher stärker im Vordergrund als die naturgetreue Abbildung. So ist kaum davon auszugehen, dass die Erdbeeren Ende des 15. Jahrhunderts so überlebensgroß wuchsen, wie Hieronymus Bosch sie in seinem "Garten der Lüste" verewigte.
Im Gegensatz dazu ist die Kunst der frühen Neuzeit eine wahre Fundgrube für die Kulturpflanzengeschichte. Zum einen vertraten viele Maler einen zunehmend detailgetreuen, naturalistischen Stil; zum anderen wurden Stillleben mit Obst und Gemüse zum beliebten Sujet, von dem zahlreiche Gemälde erhalten geblieben sind.
Bunte Möhren, wie sie hierzulande erst seit einigen Jahren wieder in den Supermarktregalen aufgetaucht sind, waren im 17. Jahrhundert gang und gäbe. Das Stillleben des spanischen Künstlers Juán Sanchez Cotán belegt einmal mehr die Farbvielfalt, mit denen uns alte Sorten bis heute erfreuen. Für die vielseitige Farbgebung verantwortlich ist übrigens ein komplexes Zusammenspiel von Enzymen und Pflanzenfarbstoffen, wie ein Forschungsartikel von 2016 resümiert.
Auch der Mais in Arcimboldos Pflanzenportrait "Der Sommer" unterscheidet sich vom modernen und stark auf Ertrag gezüchteten Industriemais. Der Kolben ist verhältnismäßig klein (vorausgesetzt, es handelt sich um eine maßstabsgetreue Abbildung) und die Körner rot statt gelb gefärbt. Sie ähneln damit dem "Erdbeermais", einer alten Sorte, die auch heute noch von vielen Hobbygärtner*innen angebaut wird.
Mehr als 3000 Jahre nach ihrer Kultivierung in Ägypten wurde die Wassermelone auch auf niederländischen Obstmärkten feilgeboten. Frans Snyders "Obststand" bietet uns einen ungewohnten Anblick, bestehen seine Wassermelonen doch größtenteils aus weißem Fruchtfleisch. Dass es sich dabei um ausgereifte Früchte handelt, bezeugen die schwarzen Samen.
Bitter waren die Melonen deswegen nicht: Der niederländische Professor für Gartenbauwissenschaften James Nienhuis hebt hervor, dass die Früchte damals mitunter zu Wein fermentiert wurden, also einen hohen Zuckergehalt und somit süßen Geschmack aufwiesen. Dass alte Sorten ein intensives Geschmackserlebnis bieten, werden viele Black Turtle-Fans und Selbstanbauer*innen aus eigenen Erfahrungen bestätigen können.
Die Sortenvielfalt im 17. Jahrhundert offenbart sich im Quervergleich – etwa mit einem Stillleben Abraham Brueghels. Der Landsmann Snyders wirkte hauptsächlich in Italien und porträtierte dort unter anderem eine Wassermelone mit rotem Fruchtfleisch (genauer: die Plazenta), wie wir es von heute handelsüblichen Exemplaren kennen. Lediglich die Schale ist etwas dicker als bei zeitgenössischen Früchten.
Nutzpflanzen blieben auch in der Moderne ein bei Maler*innen beliebtes Motiv. Die teils über Jahrtausende gezüchteten Gemüsearten und -sorten ähneln in der jüngeren Malerei den Formen und Farben, wie wir sie heute kennen. So sieht die Rübe in Robert Dunnings "Stillleben mit Wurzelgemüse" von 1879 den Knollen der alten Steckrübensorte 'Wilhelmsburger' zum Verwechseln ähnlich – auch wenn letztere erst 1897 zum ersten Mal erwähnt wurde.
Als die Fotografie sich einen festen Platz in der Darstellungskunst erkämpfte und behauptete, waren realistische Abbildungen nicht mehr alleinige Sache von Malerei und Bildhauerei. Stilistisch entfernten sich viele Strömungen der (Post-)Moderne von einer naturalistischen Darstellungsweise, so dass heutzutage vor allem Fotos und natürlich die zahlreichen Genbänke die Sortenvielfalt unserer Nutzpflanzen dokumentieren. Doch wer weiß, vielleicht sieht das Gemüse der Zukunft einmal tatsächlich so aus wie in Christopher Willards zeitgenössischem Gemälde?