So abwegig wie es vielleicht zunächst klingen mag – die Entstehung der Unkräuter ist sehr eng mit derjenigen unserer Kulturpflanzen verbunden. Sie haben eine ähnliche evolutionäre Geschichte und teilen sich sogar die Lebensräume miteinander, denn beide wachsen auf dem Acker bzw. im Garten. Diese in der Natur nicht existierenden Lebensräume haben die Menschen ja erst eigens für ihre Kulturpflanzen geschaffen.
Dazu begannen sie vor 10.000 Jahren damit, ihnen geeignet erscheinende Flächen von der ursprünglichen Vegetation zu „befreien“, was in Wäldern beispielsweise durch Brandrodung geschah. Auf den freigelegten Flächen konnten sie dann so lange Pflanzen ihrer Wahl anbauen, bis der Nährstoffvorrat im Boden erschöpft war und neue Flächen urbar gemacht werden mussten.
Die brachfallenden Flächen holte sich die Natur dann im Laufe der Zeit zurück. Hier wuchs wieder Wald auf, sobald die Menschen ihren Wohnort aufgegeben hatten und mit ihrem Wanderfeldbau weitergezogen sind. Während es uns bei den „alten Sorten“ um die Kulturpflanzen geht, handelt dieser Beitrag auch von den ungeladenen Gästen und davon, was diese strategisch so unterschiedlichen Pflanzen taktisch eint.
Wo kommen sie eigentlich alle her, diese vielen Unkräuter?
Ordnet man sie nach ihrer Herkunft und nach der Einwanderungszeit, lassen sich drei Gruppen bilden:
Pflanzenarten, die bereits vor dem Beginn des Ackerbaus in den natürlichen Pflanzengesellschaften vorhanden waren und die jetzt auf den Äckern zusätzliche Verbreitungsmöglichkeiten finden, nennen die Wissenschaftler Apophyten, indigene oder „alteinheimische Arten“. Die Acker-Glockenblume (Campanula rapunculoides L.), die Acker-Kratzdistel (Cirsium arvense [L.] Scop.) und der Kriech-Hahnenfuß (Ranunculus repens L.) seien als Beispiele hierfür genannt. Oft sind es ein- oder mehrjährige Arten mit hohen Ansprüchen an die Wasserversorgung und an den Nährstoffgehalt des Bodens. Desgleichen können es Arten trockener, sandiger und kalkhaltiger Naturstandorte sein, Trockenrasen beispielsweise oder Schotterfluren. Hierzu gehören u.a. die Ackerwinde (Convolvulus arvensis L.) und die Acker-Witwenblume (Knautia arvensis [L.] Coult.).
Mit dem Beginn des Ackerbaus werden Unkräuter aus Vorderasien und aus mediterranen Gebieten eingeschleppt, die wir als Archäophyten bezeichnen. Der Acker-Gauchheil (Anagallis arvensis L.) stammt von dort und der Acker-Schwarzkümmel (Nigella arvensis L.).
Diesen beiden vorgenannten Gruppen stehen die Neophyten gegenüber, die sich erst seit dem Ende des Mittelalters ausbreiten und dazu neue Verkehrs- und Handelswege des Menschen nutzen, das Einjährige Berufkraut (Erigeron annuus [L.] Desf.) beispielsweise und das Pennsylvanische Glaskraut (Parietaria pensylvanica Willd.). Meist wird die Entdeckung Amerikas, der Neuen Welt, im Jahre 1492 durch Christoph Kolumbus als Zeitpunkt zur Unterscheidung der eingewanderten Arten, der Adventivarten, in Archäo- und Neophyten gewählt. Mit allen anderen neu eingewanderten Organismengruppen (z.B. Tieren = Neozoen, Pilzen = Neomyceten) fassen wir die Neophyten unter dem wertneutralen Begriff Neobiota zusammen. Im englischen Sprachraum ist auch die Bezeichnung „alien species“ populär. Eingewanderte Arten mit starker Ausbreitungstendenz, die zudem heimische Arten verdrängen, heißen dort sogar etwas irreführend „invasive alien species“: Doch eingeführt hat diese durchaus irdischen, nach inzwischen mehr als 500 Jahren längst nicht mehr „fremden“ Arten in jedem Einzelfall der Mensch.
Die ersten Pflanzen, die die Menschen direkt in Kultur nahmen, werden als primäre Kulturpflanzen bezeichnet. Dazu zählten beispielsweise die beiden Weizenarten Einkorn (Triticum monococcum L.) und Emmer (T. dicocccon Schrank), die Gerste (Hordeum vulgare L.), der Lein (Linum usitatissimum L.), die Erbse (Pisum sativum L.) und die Linse (Lens culinaris Medik.). Das sind Pflanzen mit Stärke, Öl und Eiweiß enthaltenden Früchten und Samen. Der Anteil der Stärke in der menschlichen Nahrung ist am größten, was bis heute an der Bedeutung und an der Flächengröße des Getreideanbaus abgelesen werden kann.
Die ältesten, jungsteinzeitlichen, noch sehr einfach beschaffenen Geräte zur Bodenbearbeitung waren aus Materialien wie Stein, Holz und Knochen. Damit konnte der Boden nur oberflächlich geritzt bzw. gehackt werden. Geackert wurde zunächst nur auf leicht zu bearbeitenden, aber fruchtbaren Lößböden. Die ersten bzw. die primären Unkräuter, die sich damals, etwa zur Zeit der Linearbandkeramik (ab ca. 5.000 v. Chr.) auf den Flächen in Mitteleuropa einstellten, können wir heute noch auf unseren Äckern finden: Von den rund 30 Arten seien die folgenden als Beispiele erwähnt: Die inzwischen sehr selten gewordene Dicke Trespe, die Roggentrespe (Bromus grossus Desf. ex DC., B. secalinus L.) und die Quecke (Elymus repens [L.] Gould) als Beispiele für Ungräser, der Weiße und der Vielsamige Gänsefuß (Chenopodoium album L., Ch. polyspermum L.), der Windenknöterich (Fallopia convolvulus [L.] Á. Löve), das Klebkraut (Galium aparine L.), die Kornrade (Agrostemma githago L.), der Rainkohl (Lapsana communis L), der Ampfer- und der Vogelknöterich (Polygonum lapathifolium L., P. aviculare L.) der Kleine Sauerampfer (Rumex acetosella L.) der Schwarze Nachtschatten (Solanum nigrum L.) und die Viersamige Wicke (Vicia tetrasperma [L.] Schreb.) konnten bereits in den archäobotanischen Untersuchungen von Pflanzenresten aus dem Neolithicum als Unkräuter nachgewiesen werden.
Als Metallgeräte für die Bodenbearbeitung aufkamen, vor allem, als etwa im 8. Jh. v. Chr. aus Eisen geschmiedete Werkzeuge die bis dahin gebräuchlichen aus Bronze ablösten, konnten nun auch lehmige, sandige und steinige, ja sogar schwere Tonböden unter den technisch ständig verbesserten Pflug genommen werden. In dem Maße, wie die Vielfalt der Ackerstandorte sich vermehrte, nahm auch die Zahl der in die Äcker einwandernden Wildpflanzenarten zu.
Durch römische Getreideimporte, aber auch durch die Beweidung der abgeernteten Felder z.B. mit Schafen kamen weitere Wildpflanzen hinzu, teils aus der unmittelbaren Nachbarschaft, teils aus weit entfernten Regionen: Die Römer bauten ihre heimatlichen Getreide nun auch nördlich der Alpen an. Ihr Saatgetreide enthielt Samen zahlreicher im Mittelmeerraum verbreiteter Unkrautarten, von denen sich einige auch an den neuen Standorten etablieren konnten. Die Wanderschäfer führten ihre Herden durch ganz Europa. Beim Rasten und Wälzen blieben Klettfrüchte im Fell der Tiere hängen, aber auch über die Darmpassage gelangten keimfähige Samen auf die Äcker, wo sie teils erst nach mehreren Jahren und nach mehrmaligem Pflügen geeignete Bedingungen zur Keimung fanden.
Ab der Bronzezeit treten das Sommer-Adonisröschen (Adonis aestivalis L.) und der Feldrittersporn (Delphinium consolida L.) in Mitteleuropa auf. In der Eisenzeit finden sich die Ackerröte (Sherardia arvensis L.), die Kleine Wolfsmilch (Euphorbia exigua L.), der Portulak (Portulaca oleracea L.) und ein schnell ziemlich lästig werdendes Ungras, der Windhalm (Apera spica-venti [L.] P. Beauv.) ein.
Mit den Römern kamen der Große Frauenspiegel (Legousia speculum-veneris [L.] Chaix), der Strahlenbreitsame (Orlaya grandiflora [L.] Hoffm.) und der Acker-Klettenkerbel (Torilis arvensis [Huds.] Link) hinzu. Für den Getreideanbau nutzten die Römer nach antikem Vorbild den Landwechsel, die Zweifelderwirtschaft. Jeweils die Hälfte der Anbaufläche lag brach und konnte ihre Fruchtbarkeit regenerieren.
Ab dem Mittelalter, etwa seit dem 11. Jh. wird flächendeckend die Dreifelderwirtschaft praktiziert: Auf Wintergetreide folgt nach gründlicher Bodenbearbeitung das Sommergetreide, dann die Brache. Die unbearbeitete, nicht erneut bestellte Fläche begrünt sich von selbst und wird von nun an als Weide genutzt. In der Winterung keimen gleichzeitig mit dem Getreide frostharte Unkräuter, in der Sommerung überwiegen hingegen wärmeliebende, meist frostempfindliche Arten, so dass die drei Felder jedes für sich zu jeder Jahreszeit ein anderes Bild – und entsprechende unterschiedliche ökologische Nischen für die Tierwelt bieten. Seit dieser Zeit sind als Unkräuter das Rundblättrige Hasenohr (Bupleurum rotundifolium L.), die Möhren-Haftdolde (Caucalis platycarpos L.), die Knollen-Platterbse (Lathyrus tuberosus L.) und der Acker-Wachtelweizen (Melampyrum arvense L.) nachweisbar.
Erst in der Neuzeit treffen wir auch auf das Flammen-Adonisröschen (Adonis flammea Jacq.), den Ackerkohl (Conringia orientalis [L.] Domort.), das Eiblättrige Tännelkraut (Kickxia spuria [L.] Dumort.), den Finkensamen (Neslia paniculata [L.] Desv.) und den Venuskamm oder Nadelkerbel (Scandix pecten-veneris L.).
Jetzt erfolgt außerdem eine sprunghafte Erweiterung des Artenspektrums der Kulturpflanzen, aber auch der Unkräuter. Die Entdeckung Amerikas, der rasch anwachsende Handel mit Gütern und der Tausch von Pflanzen und Saatgut aus allen Teilen der Welt beschert der Landwirtschaft einen gewaltigen Entwicklungsschub. Für den Anbau von Kartoffeln und Rüben, die zu den Blatt- bzw. Hackfrüchten zählen, werden zunächst die Brachflächen im Rahmen einer „Verbesserten Dreifelderwirtschaft“ requiriert. Erstmals gibt es nun mehrjährige Fruchtfolgen ohne zwischengeschaltete Brache nach dem folgenden Muster: Halmfrucht, Halmfrucht, Blattfrucht. Eine ganzjährige Beweidung von Ackerflächen war nun nicht mehr möglich. Die Tierhaltung erfolgt mehr und mehr in Ställen.
Beispielhaft für die zahlreichen neuweltlichen Unkräuter – allesamt wie eingangs bereits mitgeteilt Neophyten – seien das Kanadische Berufkraut (Conyza canadensis [L.] Cronquist), das Kleinblütige und das Zottige Knopf- oder Franzosenkraut (Galinsoga parviflora Cav., G. ciliata [Raf.] Blake) erwähnt. Ihren bis heute gebräuchlichen Beinamen erhielten die Knopfkräuter übrigens, weil sie sich zu der Zeit von Napoleons Feldzügen in Europa ausbreiteten. Noch im 18. Jh. wird schließlich eine Vierfelderwirtschaft eingeführt, die den Anbau von Futterpflanzen ermöglicht.
Jeder dieser hier stark verkürzt und vereinfacht aufgeführten Entwicklungsschritte bedeutet eine Intensivierung der Landnutzung, um die rasch wachsende Bevölkerung ernähren, um Faserpflanzen wie Flachs und Hanf für die Textilindustrie anbauen und um die Tiere überall dort füttern zu können, wo Weideland auch ackerbaulich nutzbar ist.
Die ganze Vielfalt der Ackerunkräuter – allein in Mitteleuropa sind es mittlerweile etwa 300 Arten – ist nun aber nicht auf jeder beliebigen Fläche zu finden. Vielmehr haben sich Pflanzengesellschaften entwickelt, die sowohl die Bodeneigenschaften als auch die klimatischen Bedingungen reflektieren, die an den betreffenden konkreten Standorten vorherrschen. Terrassierte Kalkscherben-Äcker in südgeneigten Steillagen haben ebenso ihre spezifischen Kennarten wie die auf Niedermoorstandorten oder in wechselfeuchten Ebenen angelegten Wölb-Äcker.
Bis heute werden Wildpflanzen – und Unkräuter – deshalb auch als Zeigerarten, als zuverlässige Indikatoren für die Eigenschaften der Standorte genutzt, auf denen sie wurzeln. Im Umkehrschluss ist es auch möglich, das Auftreten bzw. Fehlen bestimmter Unkrautarten als Hinweis auf Anbaumöglichkeiten für Kulturpflanzen zu deuten, die spezielle Ansprüche stellen.
Rund 6.000 Jahre hat es gedauert, bis die mitteleuropäischen Agrarlandschaften ihre maximale Ausdehnung erreicht haben. Durch Siedlungs- und Verkehrswegebau, Bergbau, Industrie, Freizeitparks und Sportanlagen gehen viele der ehemaligen Ackerflächen auf besten Böden verloren, doch auch sogenannte Grenzertragsstandorte werden von der Landwirtschaft wieder aufgegeben, weil ihre Bewirtschaftung unrentabel geworden ist.
Bei Waldspaziergängen durch hügelige Landschaften kann man vielerorts noch die ehemaligen Terrassen wahrnehmen, auf denen früher Landwirtschaft betrieben worden ist. Bei extensiver Beweidung kommt es zunächst zur Verbuschung. Bleibt sie aus, stellt sich die natürliche Vegetation wieder ein. Betrachtet man diese Wälder genauer, wird man auch hier einen zunehmenden Neophyten-Anteil feststellen: Bäume, Sträucher, Kräuter und Gräser, die ursprünglich aus anderen Teilen der Erde stammen.
Die Reduktion und Vereinheitlichung der Acker-Standorte ist eine Ursache für den Artenrückgang der Unkräuter, aber nicht die einzige. Während die mechanische Unkrautbekämpfung alle Arten gleichmäßig trifft, wirkt die chemische selektiv. Tieferes Pflügen, häufigere Bodenbearbeitung, das Ausbleiben einer Brache und die fehlende Beweidung der Felder nach der Ernte, aber auch die im Rahmen von „Flurbereinigungen“ stattfindende Verschmelzung vieler der früher nie exakt zur gleichen Zeit bewirtschafteten Äcker zu riesigen, mit Maschinen binnen weniger Stunden bearbeitbaren Schlägen, der Verlust kleinräumiger Strukturen wie Lesesteinhaufen, Säume, Sölle, Feldhecken, -raine, -scheunen und -wege, die Begradigung von Gräben, die vielfältigen Meliorationsmaßnahmen, das alles hat neben einer verbesserten Saatgutreinigung viele Unkrautarten die Existenz gekostet oder sie auf wenige verbliebene, meist extensiv bewirtschaftete und eher kleine Flächen zurückgedrängt.
Dazu beigetragen hat übrigens auch die sich ständig wandelnde Erntetechnik, denn das Getreide musste ursprünglich nach dem Absicheln, dann, später nach der Mahd mit der Sense, zu Garben gebunden und mundartlich zu Diemen oder Hocken aufgestellt werden, um nachreifen zu können. Erst nach einer Zwischenlagerung in den Scheunen wurde auf den Tennen mit Flegeln gedroschen, zunächst im Freien, später unter Dach, sodann Spreu und Körner durch Worfeln voneinander getrennt. Mähbinder und Stand-Dreschmaschinen mit Windfegen, schließlich Mähdrescher ersetzten die vielen arbeitsintensiven und verlustreichen Schritte. Die Abwanderung der Landbevölkerung, vor allem der Jugend in die Städte war die logische Konsequenz.
Intensivierung und Chemisierung der Landwirtschaft haben somit nicht nur auf die Unkrautflora Auswirkungen; sie führen auch zu gesamtgesellschaftlichen Umbrüchen und bedingen gravierende kulturelle Veränderungen. Wie sagt man über das Unkraut doch so schön? Herba inutilis non praeterit – es vergeht nicht. Das seit Bestehen der Landwirtschaft existierende Unkrautproblem ist jedoch keineswegs gelöst, es ist nur auf wenige, jetzt massenhaft auftretende und schwer bekämpfbare Problemunkräuter verlagert worden, denn offener, unbedeckter, nicht sogleich mit Pflanzen bewachsener Boden ist eine Provokation für die Natur.
Im zweiten Teil werden wir die unterschiedlichen Überlebensstrategien der Unkräuter, behandeln, uns dann mit den sekundären Unkräutern und Kulturpflanzen beschäftigen und schließlich definieren, wie wir den Begriff „Unkräuter“ gebrauchen wollen.
tg 2020-07-16