Pflanzen benötigen für ihr Wachstum Nährstoffe, Wärme, Licht, Luft und Wasser. Normalerweise finden sie das alles in ihrer natürlichen Umgebung in ausreichender Menge vor. Wo sie nicht direkt hinreichen können, dorthin wachsen sie oder bewegen sich in die entsprechende Richtung. So wachsen und drehen sich ihre Sprosse zur Lichtquelle, zur Sonne, und die Wurzeln dringen in feuchte, möglichst gut durchlüftete und nährstoffreiche Horizonte im Boden vor. Ihre Blätter richten einige Pflanzen so aus, dass sie in den bestmöglichen Lichtgenuss kommen, also stets im rechten Winkel zum Strahlengang stehen. Dabei nehmen sie Rücksicht auf benachbarte Blätter, damit diese sich nicht gegenseitig überdecken. Bei zu intensiver Strahlung stellen die Pflanzen ihre Blätter parallel zu den Sonnenstrahlen, um Verbrennungen zu vermeiden und zu starkem Wasserverlust vorzubeugen. So manches gäbe es noch über pflanzliche Bewegungen und Wachstums-Schübe z.B. im Tag-Nacht-Rhythmus zu berichten, über den Einfluss der Tageslänge auf das Wachstum und auf die Blütenbildung.
Weit mehr bleibt zu erforschen, denn wie wenig wissen wir doch über die vielfältigen Umweltanpassungen und Gründe der Standortbindung, über Symbiosen sowie Mechanismen der Verbreitung, über die Besonderheiten rankender bzw. als Halb- oder als Vollschmarotzer lebender Gewächse, über die Service-Leistungen blühender Pflanzen für ihre Bestäuber, über „pflanzliche Intelligenz“:
An dieser Stelle möchten wir „nur“ das eingangs als erstes erwähnte Thema ein wenig vertiefen, die Frage danach, wie und wovon Pflanzen sich ernähren. Kein pflanzenbauliches Fachbuch, kein Lehrbuch der Botanik kommt am Thema „Pflanzenernährung“ vorbei. Den Begriff „Pflanzenernährung“ könnte man nun so deuten und damit missverstehen, dass Pflanzen ernährt werden müssten, womöglich noch von uns Menschen.
Das Gegenteil ist der Fall: Pflanzen versorgen sich selbst und „nebenbei“ die anderen Lebewesen auf diesem Planeten direkt oder indirekt mit allem, was sie zum Leben benötigen oder sind zumindest maßgeblich daran beteiligt. Wir Menschen verdanken ihnen u.a. Nahrung, Kleidung, Medizin, Baumaterialien, Heizung, Vorbilder für technische Lösungen und nicht zuletzt die Luft zum Atmen, den freien atmosphärischen Sauerstoff. Ein selbst gepflückter Blumenstrauß sagt mehr als 1.000 Worte.
Als Menschen gehören wir zu den wenigen Arten, die Pflanzen nicht nur nutzen, sondern auch kultivieren, also anbauen und sogar züchterisch bearbeiten, an unsere Bedürfnisse anpassen, sie für unsere Zwecke „verbessern“. Gleichzeitig sollen die Erträge unsere Arbeit auch lohnen, weshalb wir den Pflanzen unserer Meinung nach ideale Wachstumsbedingungen schaffen, sie konkurrenzfrei halten, wässern und düngen.
Das machen wir seit es Landwirtschaft und Gartenbau gibt, seit annähernd 10.000 Jahren. Bevor Maschinen uns die Arbeit erleichterten, waren es mit Werkzeugen kombinierte Zugtiere, doch ganz am Anfang nur sehr einfache Hilfsmittel wie Grabstöcke und die Naturgewalten: Überschwemmungen und Feuer zum Beispiel. Mittels der Brandrodung wurde Land urbar gemacht. Die nährstoffreiche Asche der einstigen Wälder düngte die angebauten Pflanzen ein paar Jahre lang. Ließ die Bodenfruchtbarkeit nach, mussten die Menschen weiterziehen. Um einen Kuhfladen herum wächst das Gras bekanntlich besser als an anderer Stelle, wird aber von den Rindern aus gutem Grund verschmäht.
Doch schon diese einfache Beobachtung lehrte die Menschen, den Wert tierischen Dungs für die Landwirtschaft zu erkennen, zumindest für einige der angebauten Kulturpflanzen. Das über viele Generationen, im Laufe der Jahrtausende gesammelte Erfahrungswissen der Menschen regte sie zu weiterer empirischer Forschung an, lange ehe die heute allgemein be- und anerkannten natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Methoden unser Leben zu prägen begannen.
Je mehr Nahrungsmittel zur Verfügung standen, desto mehr Menschen konnten durch Landwirtschaft und Gartenbau ernährt werden, und je weiter die technische Ausstattung fortschritt, desto weniger Menschen fanden in der Landwirtschaft Arbeit. Dieser Trend setzt sich bis heute ungebrochen fort. Er führt neben einer immer stärkeren Spezialisierung zur Entfremdung von der Lebensmittelerzeugung und zu immer stärker verzerrten Wertvorstellungen, die erst in Krisen- und in Notzeiten kurzfristige Korrekturen erfahren.
Neue Berufe entstanden, entstehen immer noch und mit ihnen neue Bedürfnisse. In den Wissenschaften geht es nicht anders zu: Heute gibt es eigentlich keine „richtigen“ Biologen, Chemiker, Mediziner oder Physiker, keine Allrounder mehr, es sind neben vielen anderen z.B. und immer noch vereinfachend Molekularbiologen, Agrochemiker, Virologen oder Astrophysiker. Ist diese Spezialisierung nun Fluch oder Segen? Den Ökotrophologen sucht man im 19. Jahrhundert ebenso vergeblich wie den Agroökologen, womit eine sich ebenfalls stark aufsplitternde, zwar junge, doch längst nicht mehr ganz neue Forschungsrichtung erwähnt sei, die Ökologie oder Lehre vom Naturhaushalt, die ganz anderes erforscht und lehrt als die Ökonomie, die Lehre vom menschlichen Wirtschaften.
Die Grundlagen der Ökologie wurden in rund 100 Jahren entwickelt, in den Jahren 1840 – 1940. In der gesellschaftlichen Akzeptanz und Umsetzung hat es die Ökologie im Konzert der anderen Wissenschaften bis heute beinahe ebenso schwer wie die Klimaforschung, was an ihren leisen, oft mahnenden Tönen liegen mag, vielleicht auch an der derzeit noch geringen ökonomischen Bedeutung und Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse.
Mit einem regelrechten Paukenschlag eröffnete im gleichen Zeitraum hingegen die Chemie völlig neue Horizonte in allen Lebensbereichen, so auch in der Medizin und Pharmazie. Seither begleiten uns in der Natur kaum abbaubare Kunststoffe im Alltag, wird die Ernährungswissenschaft von chemischen Stoffklassen geprägt, und nicht zuletzt profitiert auch die moderne Landwirtschaft von billigen Kunstdüngern und von „Pflanzenschutz“-Mitteln, die sich nicht selten von synthetischen Kampfstoffen ableiten lassen.
Der deutsche Chemiker Justus Freiherr von Liebig (1803-1873) begründete mit den Ergebnissen seiner Forschung die moderne Mineraldüngung und den Beginn der Agrochemie. Durch die schwere Hungersnot des Jahres 1816, die ihm lebhaft in Erinnerung geblieben ist, wurde Liebig dazu angeregt, seine Arbeiten in den Dienst der Landwirtschaft zu stellen. Doch wie kam es dazu, was wissen wir heute über die Ursachen dieser Hungersnot?
Im April des Jahres 1815 war der indonesische Vulkan Tambora ausgebrochen. Dieser gewaltige Ausbruch bewirkte eine empfindliche Abkühlung des Klimas auf der ganzen Erde, wesentlich stärker als sie gegen Ende des zweiten Weltkriegs gemessen wurde: 1816 wurde zu einem Jahr ohne Sommer. Ernteeinbußen, Preissteigerungen bei Lebensmitteln und höhere Heizkosten waren die unmittelbaren Folgen. Hinzu kamen heftige Überschwemmungen. Wegen des andauernden schlechten Wetters konnten die Menschen ihre Wohnungen kaum verlassen. Hunger und Elend breiteten sich aus in diesem Jahr „Achtzehnhundertunderfroren“.
Er fragte sich nicht nur, ob es wohl möglich wäre, die Erträge der Kulturpflanzen so deutlich zu steigern und sie auf einem hohen Niveau zu stabilisieren, dass die Versorgung der Bevölkerung abgesichert und Nahrungsmittelvorräte angelegt werden können. Er fand auch Antworten: Liebig erkannte, dass die Pflanzen wichtige anorganische Nährstoffe in Form gelöster Mineralsalze aufnehmen können. Das Liebig’sche Minimum-Gesetz besagt zudem, dass der knappste lebensnotwendige Nährstoff das Pflanzenwachstum begrenzt. Das waren geniale Erkenntnisse!
Der bzw. dem einen oder anderen wird vielleicht noch die folgende Eselsbrücke aus der Schulzeit geläufig sein, mit der die essentiellen elementaren Hauptnährstoffe in einem Merksatz zusammengefasst sind: COHNS Margarete Kocht Prima CaFe. Kohlen-, Sauer-, Wasser- und Stickstoff, Schwefel, Magnesium, Kalium, Phosphor, Kalzium und Eisen. In drei Jahren, von 1846 bis 1849 entwickelte Liebig das wasserlösliche Superphosphat, den bis heute weltweit meistverkauften Phosphatdünger. Stickstoffreiche Dünger sind Stallmist und Gülle. Heute dient hauptsächlich synthetisch hergestellter Ammoniak als Ausgangsstoff für die Stickstoffdüngung.
Die europäischen Kalisalzlagerstätten entstanden vor rund 250 Millionen Jahren im Zechstein und im Tertiär. Beim Abbau von Steinsalz fielen die Kalisalze als Abfall an, bis man ihre das Pflanzenwachstum fördernde Wirkung erkannte. Die Voll- oder NPK-Düngung enthält die in der Natur knappsten weil flüchtigsten lebensnotwendigen Elemente. Sie werden aber nur zu einem Bruchteil von den Pflanzenwurzeln aufgenommen, dafür sehr leicht ausgewaschen und finden sich dann z.B. im Grundwasser und in den Oberflächengewässern wieder. Sie führen zu hypertrophen sprich überdüngten, ökologisch entwerteten Seen und Flüssen, in denen es unterhalb der Wasseroberfläche kaum noch Leben gibt.
Wie nicht anders zu erwarten, werden die Bedürfnisse der Pflanzen von der Agrochemie chemisch definiert und auch chemisch beantwortet. Für die Betrachtung des Bodenlebens, für die Geo- und die Gewässer-Ökologie, für die Boden-Physik, gar für Humuswirtschaft und für die Untersuchung der vielfältigen, auch Unkräuter, Pilze und Mikroben beheimatenden Agroökosysteme sowie für all die anderen chemisch weniger leicht zu fassenden und schwer zu standardisierenden Zusammenhänge, für eine effiziente Ressourcenbewirtschaftung und für alles, was dem Humusaufbau und einer nachhaltigen Verbesserung und Stabilisierung der Bodenfruchtbarkeit dienen könnte, da fehlt es bis heute an Möglichkeiten, sprich Geld.
Jeder Hobby-, Balkon- und Zimmergärtner weiß oder lernt sehr schnell, dass viele Pflanzenarten spezielle Böden brauchen, sogar der Handel weiß das und bietet z.B. fertig gemischte Kakteenerde und spezielle Substrate für Orchideen und andere Zierpflanzen an. Kein einziger Boden ist für alle Pflanzenarten gleich gut und fruchtbar. Es gibt Pflanzen mit sehr hohem, solche mit mittlerem und wieder andere mit niedrigem Nährstoffbedarf. Man nennt sie Stark-, Mittel- und Schwachzehrer. Von den meisten landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Kulturpflanzen wissen wir, dass sie im Zuge der Co-Evolution und wegen ihrer globalen Wanderungen mit dem Menschen hinsichtlich der Klima- und der Bodenbedingungen sehr tolerant geworden sind.
Seit Urzeiten verwenden Menschen kompostierte Garten- und Küchenabfälle ebenso wie kompostierten Stallmist als naturnahen, milden Dünger für ihre Beete. Manche Pflanzen benötigen und vertragen mehr davon als andere, wie der Befall mit Schädlingen und Krankheiten den aufmerksamen Beobachter lehrt. Ein gut gelockerter, an mit Luft gefüllten Poren reicher, humoser Boden lässt die Pflanzenwurzeln leichter eindringen und die Nährstoffe besser erschließen als ein verdichteter, rein anorganischer.
Die besonders flüchtigen, uns aus dem oberen Abschnitt bekannten Haupt-Nährstoffe Stickstoff, Phosphor und Kalium sind in den Bodenorganismen angereichert und werden den Pflanzen über deren Ausscheidungen zwar nur in kleinen Mengen, dafür aber kontinuierlich verfügbar gemacht. Sie wandern mit den Tieren und Pilzmyzelien in die von den Pflanzen am dichtesten durchwurzelten Bodenschichten, also nach oben, in den belebten Bereich und gelangen so immer wieder auch an die Bodenoberfläche, wie uns die Regenwurmhäufchen zeigen. So werden diese Nährstoffe daran gehindert, in tiefere Bodenschichten und in das Grundwasser ausgewaschen zu werden. Sie verbleiben im Stoffkreislauf, und zusätzliche Düngergaben erübrigen sich.
Die Königsklasse der Humuswirtschaft, zumindest aber eine der spannendsten Varianten ist die Mulchwirtschaft, bei der eine Flächenkompostierung erfolgt. Hier wird das organische Material nicht irgendwo im schattigen Abseits, sondern direkt auf der Fläche um- und abgebaut, in den Boden eingearbeitet. Das geschieht langsamer und vor allem unter aeroben, sauerstoffreichen Bedingungen und moderaten Temperaturen, was das Bodenleben der Regenwürmer, Enchyträen, Milben, Asseln, Hundert- und Tausendfüßer, der Käfer, Zweiflüglerlarven und all der anderen ungenannten Lebewesen ungemein fördert. Wird richtig gemulcht, in vielen dünnen, stets wachsenden Schichten aus trockenem Pflanzenmaterial, bleiben Nacktschnecken fern und werden nicht zur Plage.
Ertragseinbußen wird es im Vergleich zur chemielastigen Landwirtschaft zweifellos geben. Wir werden auch Schäden hinnehmen müssen, sie allerdings schlecht allgemein in absoluten Zahlen oder in Prozenten angeben können, zumal sie Jahr für Jahr etwas anders ausfallen werden. Fassen wir sie summarisch als ökologische Steuer, als in Naturalien zu erbringenden Tribut an unsere Umwelt, an all die Lebewesen auf, mit denen wir diese Welt gemeinsam bevölkern.
tg 2020-05-29