Bereits im Jahre 1871 wurde Palmkohl auf der kaiserlichen Tafel Wilhelm I. präsentiert. Dann ist er hierzulande fast in Vergessenheit geraten – bis ca. 1990. Danach tauchte er gelegentlich wieder im Saatguthandelssortiment auf, jedoch nicht gleich als Gemüse, sondern zunächst als exotisch anmutende Zierpflanze!
Palmkohl ist optisch tatsächlich eine sehr ansprechende, gleichzeitig überaus delikate, aber auch eine besonders frostempfindliche Varietät des Gemüsekohls, der zur Pflanzenfamilie der Kreuzblütler (Brassicaceae) gehört. Im ersten Anbaujahr können laufend die ausgewachsenen unteren Blätter geerntet werden. Eine Unterpflanzung bzw. Kombination mit anderen Gemüsen, Kräutern oder niedrigen, einjährigen Blumen macht den Palmkohl zu einem regelrechten Blickfang. Die wie gesagt leider nicht sehr frostharten Pflanzen blühen und fruchten im 2. Jahr. Danach sterben sie meist ab.
Der Einschlag von Kohlsamenträgern stellte die Gärtnereien immer vor besondere Herausforderungen: Im Winter liebt Kohl nicht zu tiefe Temperaturen, idealerweise knapp über dem Gefrierpunkt. Er braucht auch dann möglichst vollen Lichtgenuss und als ursprüngliche Küstenpflanze vor allem Wind. Stehende Luft und fehlendes Licht begünstigen Schimmelpilze. Zu lange Frostperioden in Mieten überleben die Pflanzen daher meist nicht oder nur schwer geschädigt. Ideale Bedingungen herrschen in Mediterran- oder in nur schwach beheizten Kalthäusern, die im Winter reichlich belüftet werden. Kein Wunder also, dass der Palmkohl nach einer Folge milder Winter nun auch wieder nördlich seiner italienischen Heimat öfter im Anbau zu finden ist.
Wir haben uns für die im Handel kaum noch anzutreffende Sorte 'Negro Romano' entschieden. Sie wird etwa 1 m hoch, hat einen relativ dünnen, unverzweigten Spross und eine offene Blattrosette. Die ungestielten Blätter haben eine schmale, abwärts gerichtete, stark blasige Spreite. Diese Blasigkeit hat der Palmkohl nur mit dem Wirsingkohl gemeinsam, dessen Vater er wohl war. Kreuzt man z.B. je eine überwinterte Pflanze von Weiß- oder Rotkohl mit einem Palmkohl und erntet die Samenträger getrennt, stellt man beim Nachbau fest, dass vom Kopfkohl als Mutter geerntete Sämlinge meist wieder recht feste Köpfe bilden, die vom Vater die blasigen Blattspreiten geerbt haben – wie das für den Wirsing charakteristisch ist. Nimmt man hingegen den Palmkohl als Mutter, entwickeln sich die Sämlinge zu langstrunkigen Pflanzen mit lockeren Köpfen oder gar offenen Rosetten, deren blasige Blätter aber viel zarter sind als die der meisten anderen Kohl-Varietäten – beides typische Eigenschaften der Mutter.
Junge Blätter dieser farbenfrohen Bastarde können roh wie Salat verzehrt werden. Gregor Mendel hätte bestimmt seine helle Freude daran gehabt, mit diesen fremdbefruchtenden Gewächsen zu experimentieren. Vielleicht hätten sie ihn aber auch auf die Palme gebracht? Wie auch immer, seine Wahl fiel nun einmal auf die selbstbefruchtenden Erbsen, die viel schwerer miteinander zu kreuzen sind als die Kohlgewächse – und die ihn zu den nach ihm benannten Vererbungsregeln geführt haben.
Italienische Auswanderer brachten die Sorte ‘Negro Romano‘ vor langer Zeit nach Argentinien, wo Forscher der russischen Genbank, des heutigen N.I.-Vavilov-Instituts in St. Petersburg während einer Sammelreise auf sie aufmerksam wurden. Von dort gelangte sie in den 1980er Jahren in die deutsche Genbank nach Gatersleben, das heutige IPK – quasi einmal rund um die Erde. Von der Genbank aus beworben, nahm sie ihren Weg zunächst über Liebhaber, dann Erhalter-Organisationen und schließlich Züchter wie z.B. Dreschflegel zurück in den Gemüsebau: Seit ein paar Jahren werden Blätterbündel und lose Ware vom Palmkohl ganz regulär und selbstverständlich im Handel angeboten, gerade so, als hätten sie die zurückliegenden knapp 150 Jahre dort nie gefehlt.
Unser Palmkohl-Saatgut stammt übrigens aus eigener Vermehrung. Modernere Palmkohl-Sorten werden weniger hoch. Sie wachsen gelegentlich sogar buschig. Neuerdings sind winterfestere Neuzüchtungen im Handel, die violette Blätter oder wenigstens farbige Mittelrippen haben.
Als Gemüse genutzt wird – wie eingangs erwähnt – nur das blasige, blaugrüne Laub (ohne Mittelrippen): Klein geschnitten, zusammen mit Zwiebeln gegart, in Öl gedünstet, im Ofen als knusprige Chips zubereitet oder roh als Salat gegessen, hat Palmkohl einen feinen, charakteristischen Geschmack. Er ist viel milder als Grünkohl und fester Bestandteil mediterraner Speisen, wie zum Beispiel der toskanischen Gemüsesuppe "Ribollita".
tg 2020-09-23